Was hinterlassen wir?
Im Mai war ich mit Freundinnen ein paar Stunden in Salzburg und mein Weg hat mich auch in die Franziskanerkirche geführt, denn dort steht am Aufgang zur gotischen Kanzel ein romanischer Löwe aus dem 13. Jahrhundert, den ich schon mein ganzes Leben lang kenne.
In meiner Kindheit war ich mit meinen Eltern, meiner Omi und meiner Schwester jedes Jahr in Salzburg, um meine Urgroßtante Suse zu besuchen. Jedes Mal hat uns mein Papi auch zu diesem Löwen geführt und wir haben ihm über den Kopf und die Nase gestreichelt und ihm versprochen, dass wir wiederkommen. Dieses Familienritual hat mir die Sicherheit gegeben, dass alles so bleibt, wie es ist. Daran habe ich mich mit Wehmut, aber auch mit Freude wieder erinnert.
So viel hat sich seit damals, allein in meiner Familie, verändert: Tante Suse lebt schon lange nicht mehr und meine Omi auch nicht, dafür haben meine Schwester und ich wunderbare Partner gefunden und großartige Kinder bekommen. Das Leben geht weiter, es bleibt nicht stehen. Einiges, wie „unser“ Löwe, bleibt erhalten, aber das Meiste verändert sich...
Mit der Hand am Löwenkopf habe ich mich gefragt, was der Löwe in den letzten 800 Jahren alles gesehen hat, welche Menschen ihn gestreichelt haben, was ihm versprochen wurde? Und ich habe versucht, mir vorzustellen, was er noch alles beobachten wird, dann, wenn ich nicht mehr bin, er aber immer noch an seinem Platz steht...
Der Gedanke, dass der Bildhauer mit dem Löwen ein Werk geschaffen hat, das weit über seinen Tod hinaus existiert und an ihn erinnert, hat mich sehr berührt und zum Nachdenken gebracht. Was bleibt von uns, wenn wir gehen?
Wenn wir einen Ort verlassen, bleibt immer etwas von uns selbst zurück. Unser Körper ist so beschaffen, dass wir ständig Spuren hinterlassen: Wir verlieren rund 40.000 Hautzellen pro Minute, uns gehen rund 100 Haare pro Tag aus (bei mir sind es gefühlt 200 Haare, die immer weißer werden...), unsere Fingerabdrücke zeigen, was wir berührt haben und unsere Schritte, wohin wir gegangen sind.
Aber was passiert, wenn wir das Leben verlassen? Hinterlassen wir dann mehr als unsere körperlichen Überreste?
Ja, das tun wir!
Wir hinterlassen Spuren auf der Welt und in den Erinnerungen anderer Menschen. Wir wissen um unsere eigene Vergänglichkeit und sammeln laufend Beweise dafür, dass wir gelebt haben. Deswegen machen wir u.a. Fotos und posten sie und ritzen unsere Initialen in Bäume oder Klowände. Als Zeichen, dass wir da waren...
Künstler*innen hinterlassen ihre Werke wie Statuen, Bilder, Melodien, Gedichte oder Romane, andere Menschen bleiben wegen ihres Schicksals, ihrer Kochkunst, ihres Humors... im Gedächtnis.
Solange noch jemand Vanillekipferln und Mürbteigkekserln nach Omis Rezept bäckt oder Tante Suses geflügelte Worte „Manchmal schmeckt´s mir, manchmal schmeckt´s mir nicht“ verwendet und sich damit noch an sie erinnert, sind sie noch da!
Ich wünsche Euch von Herzen einen erholsamen Sommer, an dem Ihr bewusst solche Spuren hinterlasst, an die man sich später gerne erinnert.





